Hier lest ihr die Transkription und Übersetzung meines ersten Vortrages über die Adventszeit und den Buddhismus auf meinem Youtube-Kanal. In der christlichen Tradition steht der 1. Advent im Zeichen der Apokalypse. Gibt es soetwas im Buddhismus?
Hallo liebe Freunde und Freunde im Dhamma!
Heute, am 27. November 2022, ist der erste Advent. Und gestern habe ich meine wöchentliche Inspiration und Kontemplation auf Instagram und Facebook gepostet, diesmal mit einem Buddha-Zitat aus den Majjhima Nikāya (Mittlere Lehrredensammlung). Unter dem Posting wünschte ich allen Lesern einen schönen ersten Advent. Nun, einer der Kommentare dazu lautete: „Was hat der Buddhismus mit dem Advent zu tun?“ Meine spontane Antwort war: „Mit was in der Welt hat der Buddhismus denn nichts zu tun?“
Ich werde sicherlich etwas später im Dezember einige Gedanken zu Weihnachten mit Euch teilen, aber jetzt möchte ich Euch einige Ideen zu der genannten Frage geben.
Um ehrlich zu sein, hat mich die Frage „Was hat der Buddhismus mit dem Advent zu tun?“ fast etwas traurig gemacht. Warum? Nun, wenn ich diese Frage richtig verstanden habe, nämlich als rhetorische Frage, die darauf abzielt zu behaupten, dass der Buddhismus überhaupt nichts mit dem christlichen Advent zu tun hat, dann zeugt diese Frage von einem tiefen Missverständnis oder gar Unverständnis sowohl des Christentums als auch des Buddhismus. Ansonsten wäre diese Frage nur eine dumme und sinnlose Provokation. Diese Frage ist die Grundlage für die Trennung zwischen Buddhismus und Christentum. Hat diese Trennung einen Sinn?
Was ist Advent in der christlichen Tradition? Ich werde mich kurzfassen, aber es ist wichtig, die eine oder andere Sache darüber zu wissen. Also, Advent bedeutet Ankunft, es ist die Ankunft von Jesus an dem, was wir als Heiligabend feiern. Nun, ich denke, auch im Jahr 2022 wird der eine oder andere noch etwas darüber wissen. Was aber vermutlich kaum jemand weiß, ist, dass die vier Adventssonntage unter bestimmten Themen stehen, also vier Themen.
Das Leitthema des ersten ist – zumindest in der katholischen Kirche – die Apokalypse, das Ende der Welt. Schauen wir uns das einmal genauer an: Im Buddhismus sprechen wir von saṃsāra, unserem Leben mit all seinen Leiden, Alter, Krankheit, Tod, Schmerz, Trauer, Jammer und Verzweiflung. Das ist unser weltliches Leben, unser Leben in dieser Welt. Wenn saṃsāra zu Ende geht, dann ist das das Ende der Welt, mit anderen Worten, wir sind frei von weltlichem Leid und nicht mehr von irgendeiner Disharmonie in der Welt betroffen. Es handelt sich also um eine metaphorische Bedeutung des Endes der Welt. Ein sozusagen individuelles oder subjektives Ende der Welt. Und der Moment, in dem dies geschieht, wird Nibbāna genannt. Hier offenbart diese Vision und Einsicht die wahre Natur jeder vergänglichen Manifestation in der Welt, die den Samen des Leidens in sich trägt, als dukkha. Und verblüffenderweise – oder gar nicht verblüffenderweise – wird die Apokalypse auch Offenbarung genannt.
So sprechen sowohl das Christentum als auch der Buddhismus vom Ende der Welt – dem Ausstieg aus Samsara – durch die Offenbarung der wahren Natur aller Manifestationen, was zu Nibbāna oder eben zum Paradies führt. Dies ist das Ende der Zeit. Denkt darüber nach: Das Ende der Zeit. Zeit ist eine Illusion, und sie zerplatzt wie eine Seifenblase, wenn wir Nibbāna oder das Paradies erreichen. Wenn es aber keine Zeit gibt, dann gibt es auch keinen Anfang und kein Ende, nicht wahr? Wenn es keinen Anfang und kein Ende unseres Lebens gibt, haben wir ewiges Leben. Auch damit einverstanden … ?
Ich denke, dies macht für den Augenblick ausreichend klar, dass Buddhismus und Advent sich nicht ausschließen, sondern zusammengehören. Auch aus einer Vielzahl anderer Gründe ist es nicht sinnvoll, ja sogar gefährlich, diese beiden zu trennen. Darüber werde ich auf jeden Fall in meinen kommenden Videos auf meinem youtube-Kanal unter dem Thema „Ökumene“ ausführlicher sprechen.
Habt eine gute Zeit und eine schöne Adventszeit, und bleibt gesund und achtsam.
Amituofo 🙏
Shi Miao Dao – 释妙道
Beitragsbild: Myriams-Fotos from Pixabay