Teil 4 meiner kleinen Advents-Serie, die ich als Video auf Youtube gestellt habe, befasst sich – gemäß der kirchlichen Chronologie der Advents-Sonntage – mit Maria, der Mutter Jesu. Wir schauen wer sie war und wie sie war; dabei stützen wir uns weniger auf die Bibel, die nicht viel zu ihr sagt, sondern auf archäologisch-wissenschaftliche Aspekte und ziehen Vergleiche zu Maja, der Mutter des Buddha Gautama. Hier nun das Transkript des Vortrages:
Es ist der vierte Advent, das heißt wir stehen kurz vor Weihnachten, und so hat das Thema dieses Sonntags in der christlichen Kirche schon mit der Geburt von Jesus Christus zu tun. Um genau zu sein, geht es um seine Mutter Maria. Hier werden uns einige Parallelen zum Buddhismus begegnen, ebenso wie einige Interpretationen im Lichte des Buddhismus und einige Kontroversen innerhalb der christlichen Kirche. Auch hier werden wir also einige faszinierende Punkte berühren.
Drei Themen haben wir an den letzten drei Adventssonntagen behandelt: Da war zum einen die biblische Apokalypse, die im buddhistischen Licht als Ende der Welt im Sinne des Endes von saṃsāra, der „weltlichen Welt“ mit ihrer Gier, ihrem Neid, ihrem Hass und ihrer Verblendung interpretiert wird. Wir sehen die Apokalypse also eher als eine innere Erfahrung, die auf vipassanā-Einsicht beruht, denn als ein verheerendes Ereignis.
Am zweiten Sonntag haben wir uns mit der christlichen Taufe befasst, die als Symbol für Ruhe, Introspektion, Gelassenheit und Kontemplation zu verstehen ist, also als Voraussetzung für die vipassanā-Praxis im Buddhismus. Wir sagten, dass Johannes der Täufer die Menschen davor warnte, wie ein Baum, der keine Früchte trägt, ins Feuer geworfen zu werden. Er riet ihnen, sich von allen weltlichen Begierden abzuwenden und zur Ruhe und Selbstbeobachtung zu kommen, eingeleitet und symbolisiert durch seinen Taufakt.
Am dritten Sonntag sahen wir, wie Jesus die Bühne betrat, der sich von Johannes dem Täufer taufen ließ und dann sozusagen sein Nachfolger wurde. Aber Jesus brachte einen neuen Wind in die Angelegenheit: Er hörte auf, die Menschen zu bedrohen und zu warnen, er hörte auf, ihnen Angst zu machen. Statt mit dunkler oder schwarzer Psychologie begegnete er ihnen mit Mitgefühl, Vergebung, positiver Motivation, mit bedingungsloser Liebe. Dies entspricht dem, was in der buddhistischen Tradition mettā genannt wird – liebende Güte.
Heute werfen wir einen Blick auf die Mutter Jesu, Maria. Wer war sie? Was war sie? Sehr viel ist über sie nicht bekannt. Nazareth, der Geburtsort Jesu und der Ort, an dem Maria lebte, war nach archäologischen Erkenntnissen ein sehr armes Dorf mit vielleicht 500 Einwohnern. Und es scheint, dass Maria nur eine eher „bildungsferne“ junge Frau war, die außer der Geburt Jesu keine große Rolle in der Geschichte spielte – so zumindest der Eindruck, den wir haben. Aber es gibt auch andere Theorien, die uns – vor allem im Lichte des Buddhismus – daran zweifeln lassen.
Nazareth lag gleich um die Ecke von Qumran, dem Ort, an dem vor einigen Jahrzehnten die bekannten Qumran-Schriftrollen gefunden wurden, Schriften, die uns Aufschluss über die Zeit Jesu geben, aber zum größten Teil unter Verschluss im Vatikan liegen – ein Schelm, der Böses dabei denkt. Aber ebenfalls war dort eine religiöse Gruppe ansässig: die Essener, eine dritte Religionsgemeinschaft neben den Pharisäern und Sadduzäern. Sie waren gegen Dogmatismus und Luxus. Ihre Lehren sind mit Elementen der altägyptischen Mystikerschule verwoben, in der Moses wahrscheinlich ausgebildet wurde. Gerechtigkeit, Gütergemeinschaft, Liebe und Reinheit von Körper und Nahrung sind Werte, die das Gemeinschaftsleben der Essener nach außen hin bestimmen. Und einigen Experten zufolge finden sich typische Elemente des Essener Denkens in der Bergpredigt Jesu und anderen Reden wieder.
Kehren wir noch einmal kurz zu den Qumran-Rollen zurück: Da ist die Rede von Meditation, von Mutter Natur, von Heilung, von Ernährung, von Liebe als einziger Waffe, von Beherrschung und Verantwortung für die eigenen Gedanken und Gefühle, und all das erinnert deutlich an die Lehren, die auf Moses, aber auch auf Zarathustra, Laotse und Buddha zurückgehen. Der Essener Grundgedanke, dass man Böses und Schlechtes durch liebende Güte überwinden kann, und der auch in Vers 5 der Dhammapada (einer Verse-Sammlung zur Lehre des Buddha) zu finden ist, hat sich in der Weltgeschichte als mächtige Waffe erwiesen – man denke nur an Gandhi. Jesus hat mit seinem Beispiel, die andere Wange hinzuhalten, wenn man geohrfeigt würde, in gewisser Weise dieses moralische Prinzip eingeführt. Die außergewöhnlichen Heilungsfähigkeiten Jesu könnten ebenfalls auf seine Ausbildung bei den Essenern zurückzuführen sein. Diese waren für ihre Heilkunst bekannt und gaben dieses Wissen nur an Eingeweihte weiter.
So weit so gut, aber was hat Maria mit all dem zu tun? Laut der Bibel und der christlichen Kirche: gar nichts. Sie war ein dummes junges Dorfmädchen. Aber manche Historiker sehen das ganz anders: Sie sagen, Maria sei in die Lehren der Essener eingeweiht gewesen und damit ein Mensch von höchster geistiger und körperlicher Reinheit, ganz erfüllt von Liebe und Licht, eine unbefleckte Seele – das ist mit „Jungfrau“ Maria gemeint, ein Zustand, den selten ein Mensch erreicht. Aber was bedeutet „unbefleckt“?
Im Buddhismus finden wir das Wort kilesa, ein Begriff, der üblicherweise mit „Verunreinigung“ übersetzt wird, der aber genauso gut mit „Makel“ wiedergegeben werden könnte. Im Buddhismus gibt es den so genannten Abhidhamma, ein Buch, das etwa im 3. Jahrhundert v. Chr. geschrieben wurde und von dem Bikkhu Bodhi sagt, es sei „eine abstrakte und höchst technische Systematisierung der [buddhistischen] Lehre“, die „gleichzeitig eine Philosophie, eine Psychologie und eine Ethik ist, die alle in den Rahmen eines Programms zur Befreiung integriert sind“. Laut Abhidhamma gibt es 10 Arten von kilesas, nämlich
– Gier (lobha)
– Hass (dosa)
– Verblendung (moha)
– Stolz und Dünkel (māna)
– falsche Ansichten (micchāditthi)
– Zweifel (vicikicchā)
– Trägheit (thīnaṃ)
– Unruhe (uddhaccaṃ)
– Schamlosigkeit (ahirikaṃ)
– Rücksichtslosigkeit (anottappaṃ)
Und folgendes sind die sogenannten sieben Todsünden im Christentum:
– Arroganz (Hochmut, Eitelkeit, Überheblichkeit)
– Geiz (Habgier)
– Lust (Ausschweifung, Hedonismus, Begehrlichkeit, Unkeuschheit)
– Zorn (Jähzorn, Wut, Rachsucht)
– Völlerei (Unmäßigkeit, Egoismus)
– Neid (Eifersucht)
– Trägheit (Feigheit, Unwissenheit, Müdigkeit, Trägheit des Herzens)
Und von der Mutter des Buddha heißt es, sie sei ohne diese kilesas gewesen, sie war akilesa, also unbefleckt, genau wie Maria. Eine interessante Parallele, nicht wahr?
Die zweite interessante Parallele zwischen der Mutter Jesu und der Mutter des Buddha sind ihre Namen: Jesu Mutter Maria, die Mutter des Buddha „Maya“. Diese beiden Namen haben denselben Ursprung, aber wir müssen vorsichtig sein, denn Maya wird regelmäßig im Sinne von Illusion oder Weltlichkeit verwendet. Es kann aber unter anderem auch die Bedeutung der „weiblichen Kraft des Gottes“ haben. Im Konzept der Essener steht der Name Maria für die Kraft des erwachten (erleuchteten) Willens, der die im Universum verborgene Göttlichkeit offenbaren will. Dies kommt dem Prinzip des Bodhisattva sehr nahe.
Eine dritte, allerdings etwas spekulative Parallele ist, dass Maria bereits in einem früheren Leben Priesterin des ägyptischen Isis-Tempels gewesen sei – leider habe ich für diese Aussage keinen Beweis gefunden. Andererseits gibt es aber auch keinen Beweis dafür, dass die Mutter des Buddha einige Millionen Jahre vor dem Buddha Gotama gelebt hat und dem damaligen Buddha namens Vipassi kostbares Sandelholz angeboten und ihm gegenüber den Wunsch geäußert hat, einmal die Mutter eines so strahlenden Buddha zu werden wie er es war.
Und beide wurden nicht auf normale Weise gezeugt, sondern – im Fall von Maria – vom Heiligen Geist, und im Fall von Maja in Form eines weißen Elefanten, der in ihren Schoß eindrang.
Eines scheint also klar zu sein, ob die eine oder die andere Sache eine rein metaphorische Legende ist oder nicht: Sowohl Maria als auch Maja waren außergewöhnlich tugendhaft, beide hielten sich an ihre Gebote und beide wollten der Welt etwas Außergewöhnliches schenken. Beide hatten – und sei es nur im metaphorischen Sinne – eine Jungfrauengeburt. Maria stellte sich nicht in den Vordergrund, sie blieb ganz bewusst im Hintergrund, wirkte schweigend und ohne Aufmerksamkeit zu erregen – und doch ging aus ihr etwas sehr Bedeutendes hervor. Maja hingegen starb kurz nach der Geburt des Buddhas, und es ist anzunehmen, dass sie wusste, dass es so kommen würde, denn das war und ist nach buddhistischer Tradition das Schicksal jeder Frau, die einen Buddha zur Welt bringt.
Ich hoffe, die Informationen in diesem Video waren interessant und informativ für Euch. An dieser Stelle bleibt mir nur noch zu sagen: Habt einen schönen, friedlichen und glücklichen vierten Advent, und bleibt sicher, liebevoll und achtsam.
Amituofo 🙏
Shi Miao Dao – 释妙道
Beitragsbild: Myriams-Fotos from Pixabay